Page 49 - SPP Abschlussbroschüre
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Laien wie Lesefähigkeit und epistemologische Überzeugungen. Beispielsweise überprüften wir, ob die Lesefähigkeit von Laien das Verstehen und Bewerten von Erklärungen beeinflusst. Die Ergebnisse zeigten, dass ein und dieselbe Erklärung von Laien mit unterschiedlicher Lesefähigkeit unterschiedlich bewertet wurde. Beispielsweise bewerteten Laien mit einer höheren Lese- fähigkeit eine Erklärung, die hinsichtlich der Prozesse, die einem zu erklärenden Phänomen zugrunde lagen, spezifische Angaben machte, in ihrer Qualität besser als Laien mit einer niedrigeren Lesefähigkeit. Generell waren die Laien aber aufgrund ihres ge- ringen Wissens über die Phänomene und deren wissenschaftli- cher Erklärung nicht imstande, bei unspezifischen Erklärungen die zugrunde liegenden Prozesse selbst zu schlussfolgern. Ins- gesamt trägt das Projekt zu einem besseren Verständnis bei, wie Laien wissenschaftliche Erklärungen bewerten und verstehen.Dass Laien in der Regel nicht imstande sind, wissenschaftliche Erklärungen tiefgreifend zu verstehen, zeigt den grundsätzlichen Bedarf, Laien in ihrem Verstehen von Erklärungen zu unterstützen.Die Befunde legen nahe, dass die Bewertung von Erklärungen stets das Resultat eines Wechselspiels zwischen Merkmalen von Erklärungen und Merkmalen von Laien ist. Folglich können Empfehlungen, welche Merkmale eine Erklärung besser oder verständlicher machen, nicht in einem absoluten Sinne gege- ben werden, sondern müssen vor dem Hintergrund relevanter Merkmale von Laien relativiert werden. Dass Laien in der Regel nicht imstande sind, wissenschaftliche Erklärungen tiefgreifend zu verstehen, zeigt den grundsätzlichen Bedarf, Laien in ihrem Verstehen von Erklärungen zu unterstützen.Sind präzisere Erklärungen in der Wissenschaftskommunikation immer auch bessere Erklärungen?Menschen haben ein großes Bedürfnis, sich Dinge zu erklären. Wenn beispiels- weise Peter unsere Kinoeinladung für Mittwochabend absagt, möchten wir wissen, warum er nicht mitkommen kann. Mit schlüssigen Erklärungen (z. B. Geschäftsessen mit dem Chef ) geben wir uns in der Regel zufrieden. Dabei gilt: je präziser die Begründung, umso größer das Verständnis. (z. B. Read & Mar- cus-Newhall, 1993).Erklärungen brauchen wir nicht nur für Alltagssituationen, wir wollen auch Phänomene verstehen, die uns betreffen und wissenschaftlich erklärbar sind (z. B. den Klimawandel). Im Vergleich zu alltäglichen Erklärungen sind wissen- schaftliche Erklärungen jedoch in der Regel wesentlich komplexer. Fraglich ist, ob auch wissenschaftliche Erklärungen möglichst präzise sein sollten, damit Laien mit ihrer Verständlichkeit zufrieden sind. Was bedeutet präzise bei wis- senschaftlichen Erklärungen? Als präzise gelten wissenschaftliche Erklärungen, die Phänomene in einer kausalen Wirkungskette beschreiben. Zu vermuten wäre, dass Laien – analog zu alltäglichen Erklärungen – präzise wissenschaft- liche Erklärungen besonders gut finden, weil sie besonders tiefe Einblicke in Wirkungsmechanismen erlauben.Unsere Forschung zeigt allerdings, dass diese Annahme so allgemein nicht stimmt. In einem Experiment (Wittwer & Ihme, 2014) konfrontierten wir Laien mit wissenschaftlichen Erklärungen, die sich in der Präzision, mit der sie Pro- zesse beschrieben, voneinander unterschieden. Anschließend sollten die Pro- banden die Qualität der Erklärungen beurteilen. Im Ergebnis wirkte sich eine höhere Präzision nicht grundsätzlich förderlich auf die eingeschätzte Qualität der Erklärungen aus. Ausschlaggebend für die Einschätzung war die Lesefä- higkeit der Laien. Laien mit einer größeren Lesekompetenz attestierten den präziseren Erklärungen eine höhere Qualität als Laien mit geringerer Lesefä- higkeit. Umgekehrt bewerteten lesekompetentere Teilnehmer weniger präzise Erklärungen schlechter als Leseschwächere.Wie ist dieser Befund zu erklären? Vermutlich unterscheiden sich Personen mit unterschiedlicher Lesefähigkeit auch in ihren Standards, also in ihren An- sprüchen, die sie an die Qualität und Präzision von Erklärungen stellen. Werden Prozesse sehr genau beschrieben, erfüllt der Text den Standard der lesekom- petenten Person und wird entsprechend positiv bewertet. Ist der Standard bei Personen mit schlechterer Lesefähigkeit eher niedrig, dann wird weniger Wert auf das genaue Verstehen von dargestellten Prozessen gelegt. Werden solche Prozesse weniger präzise beschrieben, wirkt sich dies nicht negativ auf die Be- wertung der Erklärung aus.Zusammenfassend zeigen unsere Forschungsergebnisse, dass Merkmale, die eine wissenschaftliche Erklärung zu einer guten wissenschaftlichen Erklärung machen, abhängig sind von individuellen Eigenschaften der Personen, die die- se Erklärungen beurteilen. Deshalb sollte man stets beachten, dass es nicht die Merkmale guter wissenschaftlicher Erklärungen für alle Personen gibt, sondern diese immer zielgruppenspezifisch sind.Literatur:Read, S. J., & Marcus-Newhall, A. (1993). Explanatory coherence in socialexplanations: A parallel distributed processing account. Journal of Personality and Social Psychology, 65, 429-447.49