„Was können wir (nicht) wissen? Was sollen wir tun?“ Vom Umgang der Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten mit Nichtwissen und unsicherem Wissen in laienadressierten Texten

Sprachwissenschaft (Textlinguistik, Stilistik, Diskursanalyse)

Die zentrale Ausgangshypothese unseres Projekts lautet, dass Nichtwissen nicht nur zentral für die Motivation von Forschung und Wissenschaft ist (und damit ein vorläufiges, weil prinzipiell in Wissen überführbares Nichtwissen darstellt), sondern dass es auch ein Nichtwissen gibt, das sich aus dem Anspruch der Beherrschung komplexer Sachverhalte ergibt und somit als systematisch bedingtes Nichtwissen, als Wissensgrenze zu betrachten ist. Im Forschungsprozess selbst werden durchaus zahlreiche kreative und produktive Strategien entwickelt, um solche Wissensgrenzen einzubeziehen und trotz Komplexität, Unsicherheit oder unvollständiger Daten zu Ergebnissen und (praktischen) Lösungen zu gelangen. Obwohl in der Wissenschaft also (zwangsläufig) mit Nichtwissen und Unsicherheiten umgegangen wird, scheint aber, so unsere zweite Hypothese, gerade die (sprachliche) Benennung dieser Wissensgrenzen und -lücken in der Außendarstellung der Wissenschaft, also der Schnittstelle zur Öffentlichkeit, nicht unproblematisch zu sein: möglicherweise weil Nichtwissen weder von Experten erwartet noch von ihnen selbst deutlich genug kommuniziert wird.

Ausgehend von diesen beiden Hypothesen interessieren wir uns in unserem Projekt für den sprachlich-kommunikativen Umgang mit Nichtwissen in (populär-)wissenschaftlichen Texten. Gerade an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit scheint es eine Perspektivenverschiebung hinsichtlich der Einstellung zu und der Bewertung von Nichtwissen und Unsicherheit zu geben. Inwiefern der sprachlich-kommunikative Umgang selbst zu einer solchen Verschiebung beiträgt, erscheint uns daher als eine wesentliche Fragestellung, die in der interdisziplinär ausgerichteten Nichtwissensforschung bisher allerdings erstaunlich wenig Beachtung gefunden hat.

Materialgrundlage unserer Untersuchung sind zum einen Texte eines authentischen, bereits abgeschlossenen Diskurses rund um das Eisendüngungsprojekt LOHAFEX*. Die Fallstudie eignet sich besonders gut, da LOHAFEX sowohl in der Wissenschaft als auch in der breiten Öffentlichkeit viel diskutiert wurde. Zum anderen arbeiten wir mit Texten, die im weiteren Kontext des Klimawandels und der Klimawandelforschung stehen und sich mit Geo-Engineering-Maßnahmen befassen.

Es ist das zentrale Ziel unserer Arbeit, die wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Texte des Korpus hinsichtlich der sprachlichen Repräsentation und Bewertung von Nichtwissen zu analysieren und zu vergleichen sowie in Relation mit den sprachlich-rhetorischen Evidenzsicherungsstrategien in den Texten zu setzen. Dadurch sollen Erkenntnisse über konkrete sprachliche Mittel im Umgang mit Nichtwissen gewonnen und überprüft werden, ob es (kontextspezifische, akteursspezifische oder diskursspezifische) Muster gibt. Dabei stehen immer die konkreten sprachlichen Äußerungen in den Texten im Fokus der Analyse, u.a. um die Erkenntnisse, trotz der dem Gegenstand (Nichtwissen) geschuldeten sprachlichen Vagheit, intersubjektiv nachvollziehbar zu machen.

Aus drei verschiedenen linguistischen Blickwinkeln (Textlinguistik, Stilistik und Diskurslinguistik) fragen wir z. B. danach, welche Strategien von unterschiedlichen Akteuren im Umgang mit eigenem und fremdem Nichtwissen zu beobachten sind. Welche Bewertungen erfährt Nichtwissen in einem spezifischen Diskurs? Welche Konzeptualisierungen von Nichtwissen resultieren aus diesen Bewertungen? Welche argumentative Rolle spielt die sprachlich-stilistisch Darstellung von Nichtwissen für dessen Bewertung und den Diskursverlauf insgesamt? Hierzu über qualitativ-hermeneutische Textanalysen ein sprachwissenschaftliches Methodenset zu entwickeln, das in einem nächsten Schritt korpuslinguistisch-quantitative Zugänge zu größeren Textkorpora ermöglicht, ist die zentrale Herausforderung des Projekts.

Aufbauend auf den Ergebnissen, geht es um die Frage, ob und inwiefern kommunikative und stilistisch-rhetorische Strategien für einen adäquaten Umgang mit Nichtwissen/Unsicherheit in unterschiedlichen Kontexten und in Abhängigkeit von verschiedenen Arten von Nichtwissen entwickelt werden können.

*Erste Projektergebnisse zur LOHAFEX-Fallstudie sind in dem Aufsatz: „Nüchterne Forscher träumen…“ (siehe nachfolgende Literaturliste) festgehalten.

Projektbezogene Publikationen:

Janich, Nina/Simon, Niklas (2017): Zur öffentlichen Semantik des Experiments. In: Böschen, Stephan/Groß, Michael/Krohn, Wolfgang (Hrsg.): Das Experiment als wissensgesellschaftliches Dispositiv. Baden-Baden: Nomos – Edition Sigma (Gesellschaft – Technik – Umwelt, Neue Folge).

Simmerling, Anne/Janich, Nina (2015): Rhetorical functions of a ‚language of uncertainty‘ in the mass media. In: Public Understanding of Science 1-15. DOI: 10.1177/0963662515606681.

Janich, Nina/Simmerling, Anne (2015): Linguistics and Ignorance. In: Groß, Matthias/McGoey, Lindsay (Eds.): Routledge International Handbook of Ignorance Studies. London/New York: Routledge, 125-137.

Janich, Nina/Simmerling, Anne (2013): „Nüchterne Forscher träumen…“ – Nichtwissen im Klimadiskurs unter deskriptiver und kritischer diskursanalytischer Betrachtung. In: Meinhof, Ulrike/Reisigl, Martin/Warnke, Ingo H. (Hrsg.): Diskurslinguistik im Spannungsfeld von Deskription und Kritik. Berlin: Akademie Verlag (Diskursmuster – Discourse Patterns 1), 65-100.

Janich, Nina (2013): Allem gewachsen – Der Klimadiskurs und seine kulturelle Steuerung durch die Wirtschaftswerbung. In: Nielsen, Martin/Andersen, Sophie Esmann/Ditlevsen, Marianne Grove/Pollach, Irene/Rittenhofer, Iris (Hrsg.): Nachhaltigkeit in der Wirtschaftskommunikation. Wiesbaden: Springer VS (Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 23), 49-69.

Konferenzbeiträge:

Janich, N. (2016, Januar). Nichtwissen und Wissenschaftskommunikation. Vortrag im Rahmen der Vorlesung „Themen der Wissenschaft“, RWTH Aachen.

Janich, N. & Maier, Michaela (2015, Dezember). Keine Angst vor Ungewissheit – warum Wissenschaftskommunikation mehr Nichtwissen kommunizieren sollte. Forum Wissenschaftskommunikation, Nürnberg. (Janich)

Janich, N. (2015, November). Unsicherheit als Argument? Was folgt hieraus für die Politik? Leopoldina-Symposium/Berlin „Der Umgang mit Risiken und Unsicherheiten. Eine Herausforderung für die Politik“. Geladene Teilnehmerin an einer Podiumsdiskussion, zusammen mit Dr. Hermann E. Ott, MdB René Röspel und Prof. Dr. Elke Weber.

Janich, N. (2015, Mai). Darmstädter Ontologie-Kolloquium, TU Darmstadt. Vortrag: „Zur Temporalität von Nichtwissenskonzepten und deren diskursiver Relevanz“ (Janich)

Janich, N. (2014, Dezember). Gibt es eine Sprache des Nichtwissens? Gesellschaft für deutsche Sprache e.V., Zweigstelle Trier.

Janich, N. (2014, März). Zur Temporalität von Nichtwissenskonzepten und deren diskursiver Relevanz. Wissenschaftliches Geburtstagskolloquium für apl. Prof. Dr. Christiane Thim- Mabrey, Universität Regensburg.

Janich, N. (2014, Februar). Die öffentliche Semantik des Experiments. Interdisziplinärer Workshop „Experimentelle Gesellschaft – das Experiment als wissensgesellschaftliches Dispositiv?“, ITAS/KIT Karlsruhe.

Janich, N. (2013, Oktober). Wissen und Nichtwissen in Text und Gespräch – Sprachwissenschaftliche Perspektiven. Workshop „Funktionalisierung von Wissen“ des Arbeitsgebiets „Scientific Communication Research (SciCoRe)“, TU Darmstadt.

Janich, N. & Kalwa, N. (2013, September). Nichtwissen als Diskursrisiko? Perspektiven auf die interne und externe Wissenschaftskommunikation. Jahrestagung des wissenschaftlichen Netzwerks „Sprache und Wissen“, Universität Heidelberg.

Janich, N. & Simmerling, A. (2013, September). Vom Umgang mit Nichtwissen und unsicherem Wissen – eine sprachwissenschaftliche Betrachtung. Darmstädter Ontologie-Kolloquium, TU Darmstadt.

Janich, N. & Simmerling, A. (2013, Juni). Nichtwissen in Sprache und Text. Erste Befunde. Acatech-Workshop „The Public & Uncertainty”, Münchner Zentrum für Wissenschafts- und Technikgeschichte/TU München.

Janich, N. (2012, September). Konzeptualisierungen von Nichtwissen im Konflikt. Eine Fallstudie zur Wissenschaftskommunikation. ITAS/KIT Karlsruhe.

Janich, N. (2012, April). Gibt es eine Sprache des Nichtwissens? Wissenschaftliches Geburtstagskolloquium für Prof. Dr. Albrecht Greule, Universität Regensburg.

Janich, N. (2012, April). Gibt es eine Sprache des Nichtwissens? Universität Ljubljana, Slowenien.

Janich, N. (2011, November). Der Klimadiskurs und sein Niederschlag in der Werbung. Interdisziplinäres und internationales Symposium „Nachhaltigkeit in der Wirtschaftskommunikation“, Forschungsnetzwerk „Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation“, Universität Aarhus/DK.

Antragstellerin
Prof. Dr. Janich, Nina
Hochschulstr. 1
64289 Darmstadt
Tel.: +49 6151 163594
janich@linglit.tu-darmstadt.de
Website
Forschungsschwerpunkte/-interessen:
Fach- und Wissenschaftskommunikation
Unternehmenskommunikation/Werbesprache
Sprachkultur/Sprachpolitik

Weitere Informationen auf der SciCoRe-Homepage


Projektmitarbeiterin

M.A. Anne Simmerling

TU Darmstadt

Postanschrift:
Dolivostraße 15
64293 Darmstadt

Besucheradresse:
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64293 Darmstadt
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Fax: +49 (0)6151 16-57411
simmerling@linglit.tu-darmstadt.de
Website
Forschungsschwerpunkte/-interessen:
Wissenschaftskommunikation


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