Page 17 - SPP Abschlussbroschüre
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senschaftlicher Evidenz für die Schädlichkeit von gewalthaltigen Videospielen, wenn der Wert der Gewaltfreiheit in einer Situation salient ist und als bedroht wahrgenommen wird (Rothmund, Bender, Nauroth, & Gollwitzer, in press). Weiterhin zeigte sich, dass eine selektive Suche nach schädlichkeitsbestätigender vs. -widerlegender Evidenz die Befürwortung von politischen Maß- nahmen gegen gewalthaltige Videospiele begünstigt. In einer weiteren Studie konnte gezeigt werden, dass Personen, die ihr Selbstkonzept über Gewaltfreiheit definieren, wissenschaftliche Evidenz für die Schädlichkeit von gewalthaltigen Videospielen positiver bewerten und in einem Wissenschaftsblog im Internet positiver kommentieren, wenn Gewaltfreiheit in der Situation bedroht war. Diese Effekte zeigten sich zusätzlich zu und un- abhängig von (a) dem Effekt der Einstellung zu gewalthaltigen Videospielen und (b) dem Effekt einer reinen Salienz von Gewalt- freiheit. Schließlich konnte im Kontext der Debatte um Biotech- nologien gezeigt werden, dass Personen umso mehr politisches Verhalten gegen Gentechnik zeigen, je mehr sie ihr Selbstkon- zept über Umweltwerte definieren, wenn Umweltwerte in der Situation bedroht waren.Soziale Identitätenund moralische Werte haben einen Einfluss darauf, wie Laien nach Wissenschafts- informationen suchen,sie bewerten und in Internetumgebungen kommentieren.Zusammengefasst zeigen die Befunde, dass soziale Identitäten und moralische Werte einen Einfluss darauf haben, wie Laien nach Wissenschaftsinformationen suchen, sie bewerten und in Internetumgebungen kommentieren. Um Wissenschaftsinfor- mationen erfolgreich an Laien zu kommunizieren, ist es daher wichtig zu beachten, dass eine Wissenschaftsinformation im Ein- klang oder Widerspruch zu einer sozialen Identität oder einem bedrohten moralischen Wert stehen kann.Wieso gibt es im Internet manchmal „Shitstorms“ gegen bestimmte Forscher- innen und Forscher?Das Internet hat die Art und Weise, wie Wissenschaft und Öffentlichkeit mit- einander in Berührung kommen, stark verändert. Heute nutzen viele Wissen- schaftler das Internet nicht nur, um ihre Forschung durchzuführen (etwa in Form von Online-Studien), sondern auch, um ihre Forschung nach außen zu kommunizieren, etwa in Form von Blogs, Podcasts usw.Die interessierte Öffentlichkeit kann sich an diesen Formen der Wissen- schaftskommunikation aktiv beteiligen: Man kann den Beitrag eines Wissen- schaftlers kommentieren, ihn bewerten (zum Beispiel„liken“), ihn weiteremp- fehlen etc. Nicht immer wird ein Wissenschaftler für seine Forschung gelobt und„gelikt“; manchmal haben die Kommentare zu dem Beitrag eines Wissen- schaftlers den Charakter eines regelrechten „Shitstorms“. Bisweilen wetteifern die Kommentare geradezu miteinander in ihrem Zynismus und ihrer Feindse- ligkeit gegenüber der Forschungsarbeit selbst, aber auch gegenüber der Person des Forschenden. Wie kommt das? Ist dieses Verhalten allein der enthemmen- den Wirkung des anonymen Mediums Internet zuzuschreiben?Wir haben uns unter anderem mit der Frage befasst, unter welchen Bedin- gungen wissenschaftliche Laien mehr oder weniger feindselige und funda- mentalkritische Kommentare zu einer bestimmten wissenschaftlichen Studie im Internet posten. Dabei haben wir unter anderem herausgefunden, dass die Feindseligkeit eines Kommentars dann besonders hoch ist, wenn die betref- fende Forschung als sozial stigmatisierend empfunden wird und wenn sich die jeweiligen Kommentatoren besonders stark mit der Gruppe identifizieren, die sie durch die Forschung gebrandmarkt sehen.Untersucht haben wir dies an Personen, die ihre Freizeit häufig mit Video- spielen verbringen. Einer Gruppe wurde eine (fiktive) Studie beschrieben, die belegt, dass gewalthaltige Videospiele die Aggressionsneigung des Spielenden erhöhen. Eine zweite Gruppe erhielt Informationen zu einer ebenfalls fingierten Studie, die diesen Effekt nicht belegte. Bis auf die unterschiedlichen Ergebnisse glichen beide „Studien“ einander. Alle Teilnehmer der Untersuchung wurden vorab gefragt, wie stark sie sich mit der Gruppe der Videospieler identifizierten.Im Ergebnis neigten diejenigen, die sich sehr zur Gruppe der„Gamer“ gehö- rig fühlten, mit größerer Wahrscheinlichkeit dazu, einen feindseligen, abwer- tenden Kommentar zu der Studie zu schreiben – vorausgesetzt sie glaubten, dass die Studie tatsachlich einen empirischen Nachweis für die aggressionsför- derliche Wirkung gewalthaltiger Videospiele erbracht hatte. Das Ergebnis zeigt, dass Forschung als stigmatisierend wahrgenommen werden kann und damit unter Umständen die soziale Identität eines Rezipienten bedroht. Abwertende Kommentare im Internet wirken dann als Ventil für dieses Gefühl der Stigmati- sierung – der Betroffene verschafft sich Luft.Die Herausforderung für die sozialwissenschaftliche Forschung liegt darin, sich dieser potentiellen Frustrationen, wie sie im Internet ihren Ausdruck fin- den, a priori stärker bewusst zu werden und in ihren Studien entsprechend zu berücksichtigen.17