Page 25 - SPP Abschlussbroschüre
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ist. Die Ergebnisse zeigten, dass vor allem Texte von Experten- quellen und zweiseitige ausgewogene Artikel ausgewählt wur- den, in denen verschiedene Standpunkte berücksichtigt wur- den (Winter & Krämer, 2012). Dieser Befund steht im Widerspruch zu Befürchtungen, dass Nutzer im Web 2.0 vorwiegend einstel- lungskonsistente Informationen aufsuchen, die (zu) simpel sind. Die Bevorzugung zweiseitiger Texte war insbesondere bei Personen mit hohem Need for Cognition ausgeprägt. In Bezug auf die Rezeptionsphase zeigte sich, dass zweiseitig formulierte Nachrichten bei hohem Need for Cognition und sophistizierten epistemologischen Überzeugungen zu einer moderateren Ein- stellung führten, während die Rezeption einseitig formulierter Texte zur Gefährlichkeit von Medien die kritische Einstellung der Eltern verstärkte (Winter et al., 2014). Assertive Formulierungen waren hingegen weniger persuasiv, was auf Skepsis gegenüber stark vereinfachenden Botschaften hindeutet.Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem Texte von Expertenquellen und zweiseitige ausgewogene Artikel ausgewählt wurden, in denen verschiedene Standpunkte berücksichtigt wurden.Basierend auf diesen Befunden wurde ein Modell zur Selektion, Verarbeitung von und Einstellungsbildung durch wissenschafts- bezogene Informationen im Internet entwickelt (Krämer & Win- ter, 2014). Dieses kann zur Ableitung von Maßnahmen zur Stei- gerung der individuellen Medienkompetenz genutzt werden, deren Wirksamkeit in zukünftigen Studien empirisch geprüft werden soll.Bevorzugen Laien im Internet einfache und plakative Wissenschafts- informationen?Das Internet bietet Laien per Mausklick eine nie dagewesene Fülle an Informa- tionen zu wissenschaftsbezogenen Fragen: Wenn Eltern beispielsweise wissen möchten, unter welchen Bedingungen Fernsehkonsum Kinder gefährden kann, oderPatientenanderWirksamkeitbestimmterTherapieninteressiertsind,istes wahrscheinlich, dass sie online nach Informationen suchen (z. B. bei Wikipe- dia, in Suchmaschinen oder Blogs). Obwohl prinzipiell viele hilfreiche Inhalte verfügbar sind, stehen Nutzer dabei vor verschiedenen Herausforderungen: Es besteht zum Beispiel die Gefahr, dass sie in der Informationsflut den Überblick verlieren oder die Qualität von Informationen nicht richtig abschätzen können. In diesem Kontext wurde vielfach vermutet, dass Laien eher Texte bevorzugen, die komplizierte Zusammenhänge plakativ und vereinfacht darstellen, oder zu einseitigen Informationen tendieren, die sie in ihrer Meinung bestätigen. Um dies zu überprüfen, haben wir verschiedene Experimente durchgeführt, bei denen die TeilnehmerInnen auf Webseiten zur Gewalt-in-den-Medien-Debatte Artikel auswählen und bewerten sollten.In unseren Studien haben wir dabei festgestellt, dass Laien unter zwei Be- dingungen durchaus offen für komplexe Wissenschaftsinformationen sind: bei persönlicher Relevanz des Themas und einer gewissen Grundmotivation zur Auseinandersetzung mit komplizierten Themen (Need for Cognition). In einem Experiment surften Eltern in einem Blog mit Texten unterschiedlicher Komplexität aus verschiedenen Quellen. Die Ergebnisse zeigten, dass vor allem zweiseitige, ausgewogene Artikel ausgewählt wurden, in denen unterschied- liche Standpunkte (z. B. „Fernsehen im Kinderzimmer: Pro und Contra“) und Unsicherheiten des Forschungsstandes berücksichtigt wurden. Dieser Befund steht im Widerspruch zu Befürchtungen, dass Nutzer im Web 2.0 auf Informa- tionen, die (zu) vereinfachend sind, „hereinfallen“. Bei der Meinungsbildung zeigte sich, dass Formulierungen, die sehr eindeutig und stark sind (z. B. „es kann ohne Zweifel festgestellt werden, dass...“), nicht überzeugen und vermut- lich eher Skepsis auslösen. Allerdings führen zweiseitige komplexe Texte nicht bei allen LeserInnen dazu, dass die Vielschichtigkeit auch richtig verarbeitet und in der Meinung zum Thema berücksichtigt wird: LeserInnen mit niedrigem Wissensbedürfnis und einem eher naiven Wissenschaftsverständnis ignorier- ten Gegenargumente weitgehend. Untersucht werden soll daher in Zukunft, ob und wie die Verarbeitung komplexer Wissenschaftsinformation durch Medien- kompetenz-Trainings verbessert werden kann.Im Gesamtbild widersprechen unsere Ergebnisse also dem unter Journa- listen teilweise verbreiteten Bild, dass ihr Publikum nur plakative und simple Wissenschaftsinformationen wünscht. Die in der untersuchten Zielgruppe nachgewiesene Offenheit gegenüber komplexen Informationen unterstreicht das Potenzial des Internets. Sie könnte allerdings auch ein Signal für klassische Medienangebote sein, weniger auf vereinfachende Berichterstattung zu setzen und mehr komplexe und widersprüchliche Befunde zu thematisieren.25