Page 27 - SPP Abschlussbroschüre
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darstellt, der wiederum durch die Ambiguitätstoleranz, episte- mologische Überbezeugungen und Selbstwirksamkeitsannah- men der BesucherInnen vorhergesagt wird. Zudem mediiert das situationale Interesse den Einfluss der Selbstwirksamkeit auf die Informationsverarbeitung.Bezogen auf den Einfluss von Merkmalen der Informations- präsentation auf die Rezeption und Verarbeitung konflikthafter Information im Museum haben wir die Anordnung der Texte im Raum, die Anordnung der konfligierenden Information inner- halb eines Textes, den Einsatz von Advance Organizern, sowie die Präsentation der Inhalte als Ausstellungstext bzw. Audioguide untersucht.Es zeigte sich, dass sich weder eine Manipulation der räum- lich-zeitlichen Mikrostruktur der Texte (gegenstands- vs. aspekt- orientierte Textorganisation) noch eine Verwendung/Nicht- verwendung von komparativen Organizern auf die erhobenen Merkmale der Konfliktverarbeitung auswirken. Im Gegensatz dazu scheint eine visuelle Informationsdarbietung die komple- xen Prozesse einer dokumentübergreifenden Inferenzbildung im Vergleich zu einer auditiven Informationspräsentation (Au- dioguide) signifikant besser zu unterstützen. Hinsichtlich eines Einflusses der Kontiguität der Informationspräsentation (räum- lich nahe vs. entfernte Präsentation) auf die Konfliktverarbeitung weisen die Befunde darauf hin, dass nicht die Distanz zwischen den konfligierenden Informationen für die Konfliktverarbeitung entscheidend ist, sondern vielmehr die räumlich-thematische Dichte des gesamten Informationsangebotes im Museum, also ob zwischen den konfligierenden Informationen weitere Infor- mationen präsentiert werden.Das naturwissenschaftliche Museum: ein Platz für Konflikte?Widersprüchliche wissenschaftliche Erkenntnisse, kontrovers diskutierte ge- sellschaftsrelevante Themen, vorläufige Befunde laufender Forschungspro- jekte − gibt es in naturwissenschaftlich-technischen Museen Platz für solche Themen? Zum Selbstverständnis naturwissenschaftlich-technischer Museen gehört neben dem Sammeln, Erhalten und Forschen die Vermittlung wissen- schaftlicher Erkenntnisse (International Council of Museums, 2011). Anhand von (historisch) bedeutsamen Objekten und aufschlussreichen Modellen wird vor allem gesichertes Wissen, also die Grundlagen, die Geschichte sowie der derzeitige Stand von Technik- und Naturwissenschaften präsentiert. Allerdings greifen Museen wie das Deutsche Museum zunehmend kontroverse Themen auf und verstehen sich auch als „Schaufenster der aktuellen Forschung“. Doch wie werden diese Kontroversen und vorläufigen Befunde von den BesucherIn- nen wahrgenommen? Und wie intensiv beschäftigen sich die BesucherInnen mit dieser Art von Information?In unseren Studien, die wir überwiegend in naturwissenschaftlich-techni- schen Museen durchgeführt haben, konnten wir zeigen, dass die Besucher- Innen bereit sind, sich mit kontrovers diskutierten Informationen ausein- anderzusetzen. Die weitüberwiegende Mehrheit der Befragten nahm die thematisierten Konflikte wahr und das selbst, wenn sich widersprechende Inhalte mit räumlichem Abstand zueinander präsentiert wurden. Über 90% der BesucherInnen erkannten den Konflikt und erreichten dabei unterschied- liche Verarbeitungsstufen. Bemerkenswert, denn BesucherInnen bewegen sich selbstbestimmt und von ihrer Neugier geleitet durch Ausstellungen. Da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie nur eine Seite des Konflikts beachten, be- sonders wenn verschiedene Erkenntnisse nicht gemeinsam präsentiert werden. Und aus der Textforschung ist bekannt, dass Konflikte selbst innerhalb eines Textes häufig nicht wahrgenommen werden. Studien zeigen, dass Menschen über unterschiedliche Strategien verfügen, um die Beschäftigung mit kontro- verser Information zu vermeiden: Sie können diese zum Beispiel ignorieren, als falsch zurückweisen oder uminterpretieren. Unsere Befunde deuten dagegen darauf hin, dass sich die BesucherInnen, sobald sie einen Konflikt wahrgenom- men haben, ausdrücklich und eingehend mit diesem beschäftigen. So zeigten zwei Drittel der Befragten Kohärenzbildung auf unterschiedlichen Niveaus, indem sie u.a. Begründungen für eine mögliche Vereinbarkeit der beiden kon- flikthaften Positionen wiedergaben oder Inferenzen zu ihrem (Vor-) Wissen herstellten. In einer Follow-up Studie mit einer Teilstichprobe konnte sich ein Großteil der Befragten drei bis fünf Monate nach dem Museumsbesuch noch an die konflikthafte Information erinnern und knapp die Hälfte der Befragten gab an, sich nach dem Besuch weiterhin mit dem Thema beschäftigt zu haben. Über 40% der Befragten einer weiteren Studie hatten ihre Einstellung zum The- ma nach dem Lesen eines konflikthaften Museumstextes in gewissem Maße verändert.Insgesamt zeigt sich in unseren Studien, dass objektiv präsentierte kon- flikthafte naturwissenschaftliche Erkenntnisse von MuseumsbesucherInnen genutzt werden, zum Nachdenken anregen und die eigene Meinungsbildung unterstützen. Daher forschen wir weiter, um herauszufinden wie Museen Kon- flikte bestmöglich präsentieren können, damit BesucherInnen diese „optimal“ wahrnehmen und verarbeiten können. Wir empfehlen in der Zwischenzeit: „Mehr Platz für Konflikte im Museum!“27