Page 33 - SPP Abschlussbroschüre
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Inwiefern moralische Aspekte und die Wahrnehmung der wissenschaftlichen Befundlage als besonders heterogen versus homogen die Bewertung gesellschaftlicher Risiken durch Laien beeinflusst, ist Kernfrage des Projektes.Wir untersuchen die Hypothese, dass Unsicherheiten bei der Bewertung uneindeutiger und konfligierender wissenschaftlicher Evidenz durch eine Reihe von Moralheuristiken aufgelöst werden.Wissen ist Macht? Nichtwissen aber auch!Lang ist die Liste gesellschaftlich relevanter Entwicklungen und Technologien, die in der Öffentlichkeit und unter Fachleuten kontrovers diskutiert werden: Dazu zählen beispielsweise die globale Erderwärmung, die Gen- und Nano- technologie und der Terrorismus. Dabei sind Ursachen, Folgen und Hand- lungsstrategien gleichermaßen umstritten. Dem Grundsatz„Wissen ist Macht“ folgend bemühen Argumentationsteilnehmer bevorzugt wissenschaftliche Studien und Erhebungen, um ihre eigenen Positionen und Forderungen zu un- termauern. Doch auch Wissenschaftler können je nach angewendeter Methode beim gleichen Thema durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Je kontroverser ein Thema diskutiert wird, desto größer die Zahl heterogener Be- funde, so scheint es. Je mehr wir wissen, umso genauer wissen wir auch, was wir (noch) nicht wissen.Doch auch Nichtwissen scheint ein gewisses Machtpotential zu besitzen, in- dem es dazu genutzt wird gewünschte Entscheidungen zu forcieren. So berufen sich zum Beispiel Gegner und Befürworter von Atomkraft gleichermaßen nicht nur auf (gesichertes) Wissen, sondern auch auf bestehendes Un- oder Nicht- wissen, etwa im Hinblick auf mittelbare und unmittelbare Langzeitfolgen der Nutzung dieser Großtechnologie oder aber bezüglich effektiver Alternativen.Wie wirkt sich die Darstellung des wissenschaftlichen Diskurses nun auf die Wahrnehmung diverser Risiken in der Öffentlichkeit aus? Ist es relevant für un- sere Risikowahrnehmung, ob bestimmte Entwicklungen und Technologien als stark oder weniger umstritten wahrgenommen werden? Mit einer Befragung haben wir Antworten auf diese Fragestellungen gesucht.Insgesamt 418 Personen haben zu verschiedenen Themen einen Fragebo- gen beantwortet. Darin ging es um unterschiedlich kontroverse Themen wie Atomkraft, Gentechnik, Börsenspekulation, Privatisierung des Gesundheitswe- sens, Bildungskürzungen, Kommunikationstechnologien, Terrorismus, kurz- fristiges Denken, westliche Konsumansprüche oder ernährungsbedingte Zivi- lisationskrankheiten. Uns interessierte, wie sehr in den einzelnen Themen eine potentielle Bedrohung (also ein Risiko) für die Gesellschaft gesehen wurde. Wir wollten auch wissen, wie kontrovers diese Themen tatsächlich wahrgenom- men werden und wie viel nach Einschätzung der Befragten über das jeweilige Thema bekannt ist. Anders als erwartet ist es für die Risikoeinschätzung nicht relevant, wie viel wir tatsächlich über das jeweilige Thema zu wissen glauben. Die Menge an Wissen ist also weniger ausschlaggebend dafür, ob wir etwas als potentielle Gefahr oder Gefährdung ansehen. Umso bedeutender ist dafür die Menge an Nichtwissen beziehungsweise an Unsicherheit. Je eher die Befragten ein Thema als stark umstritten und durch unterschiedliche wissenschaftliche Standpunkte gekennzeichnet eingeschätzt haben (z. B. Atomkraft oder Gen- technik), umso niedriger bewerteten sie das gesellschaftliche Risiko. Offenbar der Einstellung folgend, wenn sich nicht einmal die Wissenschaftler einig sind, dann kann das Risiko nicht so hoch sein. Am stärksten hing die Risikobewer- tung davon ab, ob die Befragten moralische Bedenken in Verbindung mit ei- nem der genannten Themen hatten. Dies traf z. B. auf das Thema Terrorismus besonders zu. In diesem Fall war die Risikobewertung grundsätzlich sehr hoch.Im Ergebnis scheinen wir bei bestimmten Themen eher zu intuitiven Urtei- len zu neigen, die sich nur bedingt von der Kenntnisnahme wissenschaftlicher Befunde oder aber deren Heterogenität „beeindrucken“ lassen. Grundsätzlich gilt für die öffentliche Risikowahrnehmung: Wissen oder Nichtwissen, beides besitzt Macht – und ist gleichermaβen machtlos.33


































































































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