Page 35 - SPP Abschlussbroschüre
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schließend anhand eines Kategoriensystems nach zentralen Kri- terien der Argumentationsqualität ausgewertet.Um den kompetenten Umgang mit Evidenz bereits im Lehr- amtsstudium fördern zu können, wurde ein Training für ange- hende Lehrkräfte entwickelt, das grundlegende Heuristiken zur Bewertung und argumentativen Nutzung von Evidenz vermit- telt. Das Trainingsdesign orientiert sich an Ansätzen zum Training evidenzbasierter Praxis aus der Medizin, Trainings zum wissen- schaftlichen Denken und Argumentieren sowie Erkenntnissen zur Wirksamkeit von Lehrertrainings. Das zweitägige Trainingpro- gramm wurde in einer quasi-experimentellen Studie erfolgreich pilotiert und anschließend in einem größer angelegten Qua- si-Experiment mit N = 144 Lehramtsstudierenden an verschie- denen deutschen Hochschulstandorten erprobt. Die Messung der Kompetenzentwicklung erfolgt anhand des entwickelten Messinstrumentes und wird durch Analysen videographischer Prozessdaten aus dem Training ergänzt. Während die Analysen zur Hauptstudie noch laufen, zeigten die Ergebnisse der Pilotie- rung eine insgesamt hohe Argumentationsqualität in der Trai- ningsgruppe, die ihre Argumente systematischer und besser mit Evidenz begründete als die Kontrollgruppe.Vergleich der Argumentationsqualität zwischen Lehramtsstudierenden der Trainings- (N = 11) und Kontrollgruppe (N = 16).Insgesamt weisen die vorliegenden Projektergebnisse zunächst darauf hin, dass zentrale Facetten der Kompetenz zum Umgang mit Evidenz mit dem entwickelten Instrument reliabel und va- lide erfasst werden können. Zudem demonstrieren sie, dass Lehramtsstudierende durchaus lernen können, bildungswissen- schaftliche Theorie und Evidenz auf die Bearbeitung schulbezo- gener Problemstellungen anzuwenden. Die vielfach konstatierte Befundlage zur geringen Nutzung wissenschaftlichen Wissens im Alltag von Lehrkräften ist also nicht prinzipiellen, kaum über- windbaren Hürden geschuldet.Können angehende Lehrkräfte lernen, wissenschaftliche Forschungsergebnisse für berufsrelevante Fragen zu nutzen?Auch wenn Schülerinnen und Schüler individuelle Persönlichkeiten sind, müs- sen Lehrerinnen und Lehrer im Schulalltag doch immer wieder Entscheidungen zu ähnlichen Fragen und Problemen für ganze Klassen treffen. Dabei folgen sie häufig Routinen. Viele dieser Entscheidungen werden in der Situation nicht be- wusst reflektiert, sondern überliefern sich aus der gängigen Praxis. Eine dieser Traditionen, die sich täglich auf Schülerinnen und Schüler auswirkt, betrifft zum Beispiel die Vergabe von Hausaufgaben. Grundsätzliche Fragen, die sich einer Lehrkraft in diesem Kontext stellen könnten, sind: Wie häufig sollten eigent- lich Hausaufgaben gegeben werden? In welchem Umfang? Sollen alle Schü- lerinnen und Schüler die gleiche Hausaufgabe lösen oder bieten individuelle Hausaufgaben einen besseren Übungseffekt und Lernzuwachs? Antworten auf diese Fragen bilden einen Rahmen dafür, ob, in welcher Form und mit welcher Zielstellung Hausgaben gestellt werden sollen.Zu diesen – und vielen anderen – Fragen der Schulpraxis liegen wissen- schaftliche Befunde der empirischen Bildungsforschung vor. Häufig zeichnen sich aufgrund der Ergebnisse einer ganzen Zahl von Studien mehr oder weni- ger übereinstimmende Erkenntnisse (Evidenz) ab, die für die Unterrichts- und Schulpraxis relevant sind. Im Berufsalltag von Lehrkräften scheinen solche Erkenntnisse bis jetzt nur selten eine Rolle zu spielen. Das erstaunt deshalb, weil Standards für die Lehrerbildung seit einiger Zeit auf eine evidenzbasierte Praxis im Bildungsbereich abzielen. Die Gründe für diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität sind vielfältig. Ein entscheidender Grund liegt darin, dass die Förderung der erforderlichen Kompetenzen zur Bewertung und Nutzung von Evidenz bislang nur an wenigen Standorten ein fester Bestandteil des Lehramtsstudiums ist. Zukünftige Lehrerinnen und Lehrer lernen im Studium bereits eine Menge über ihre Fächer, inzwischen auch einiges über das Un- terrichten dieser Fächer und über pädagogisch-psychologische Theorien. Wie man aktuelle Forschungsbefunde aus diesen Bereichen verstehen, bewerten, einordnen und nutzen kann, lernen Studierende für ein Lehramt jedoch selten systematisch.Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen des Projektes „E4teach – Evi- dence for teachers“ ein zweitägiges Kurzzeittraining entwickelt, das Lehramts- studierende damit vertraut macht, wie sie einschlägige Forschungsergebnisse erkennen, verstehen und für ihre Praxis nutzen können. Zwei Kompetenzen stehen im Zentrum des Trainings: erstens, die Aussagekraft von Ergebnissen kri- tisch zu bewerten und zweitens, die Evidenz argumentativ in Bezug auf schul- bezogene Fragestellungen zu nutzen. Im Training sollen Grundlagen für das letztlich sehr anspruchsvolle Nutzen von Evidenz für professionelle Aufgaben entwickelt werden. Die Studierenden lernen insbesondere „Daumenregeln“ (sogenannte Heuristiken), die in vielen Fällen hilfreich sein dürften.Wie wirksam ist nun ein solches Training? Zur Beantwortung dieser Frage stellen wir beispielhaft Befunde einer ersten experimentellen Studie zur argu- mentativen Nutzung von Evidenz dar. Abbildung 1 vergleicht dazu Lehramts- studierende, die am Training teilgenommen haben, mit einer untrainierten Kontrollgruppe hinsichtlich der Qualität ihrer Argumentationen in einem Test. Vor diesem Test sollten die Studierenden mehrere Texte mit Forschungsbefun- den lesen, die für eine schulbezogenen Problemstellung einschlägig waren. Im Test wurden die Studierenden dann um eine begründete Stellungnahme zu Handlungsoptionen in dieser Problemsituation gebeten. Die Stellungnahmen wurden danach bewertet, wie systematisch und gut die Studierenden ihre Po- sition mit der verfügbaren Evidenz begründeten („niedrig“ = keine Nutzung von Evidenz; „hoch“ = durchgängige Nutzung von Evidenz und kritisches Hinterfragen). Der Vergleich zeigt, dass die Studierenden der Trainingsgruppe deutlich fundierter argumentierten als die der Kontrollgruppe. Die Antwort auf die Frage im Titel lautet demnach: Ja, Lehrkräfte können lernen, wissenschaft- liche Forschungserkenntnisse für berufsrelevante Fragen zu nutzen. Hinzuzufü- gen ist: Aber man muss ihnen dazu auch geeignete Lerngelegenheiten geben.35


































































































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