Page 37 - SPP Abschlussbroschüre
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den wissenschaftliche Reviews in besonderem Maß genutzt, um gesellschaftliche Erwartungen zu thematisieren? Das For- schungsprojekt baut auf den Genreanalysen Charles Bazermans (1988; 2004) auf und erweitert diese um den Aspekt der Adres- sierung wissenschaftsexterner Akteure.Das Genre wissenschaftlicher Review wird sowohl in seiner formalen Struktur als auch in seiner Funktionim Wechselspiel zwischen Herausgebern, Wissenschaftler und wissenschaftspolitischer Fachöffentlichkeit genauer unter die Lupe genommen.Das Forschungsprojekt möchte damit einen Beitrag leisten, die Strategien wissenschaftlicher Akteure im Schnittfeld zwischen wissenschaftlicher Fachgemeinschaft und Öffentlichkeit genau- er zu verstehen, die auf die Generierung von gesellschaftlicher Legitimation ausgerichtet sind. Methodisch soll dies auf der Grundlage der Kopplung des Einsatzes szientometrischer Verfah- ren mit Inhalts- und Dokumentenanalyse erreicht werden.Sind Wissenschaftler ihre eigene PR Abteilung?Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haftete lange das Image eines wirklichkeitsfernen Idealismus an. Allein der Wahrheit und der wissenschaft- lichen Redlichkeit verpflichtet, forschen und schreiben sie, um den Dingen auf den Grund zu gehen. So hat vor fast 70 Jahren der Soziologie Robert K. Merton die Norm des wissenschaftlichen Ethos formuliert, an der sich wissen- schaftliches Verhalten zu orientieren habe. Doch dieses Bild hatte schon damals Kratzer bekommen. Heute kratzen nicht nur Skandale um wissenschaftliches Fehlverhalten, sondern auch umstrittene Forschungsthemen am Lack der Wis- senschaft als Motor des globalen Fortschritts.Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind, so scheint es, in ähnlicher Weise auf „gute Presse“ angewiesen wie Unternehmen oder andere ge- sellschaftliche Akteure. In der Wissenschaftsforschung zeigt eine Reihe von Befunden, dass sich mediale Berichterstattung in vielen Disziplinen positiv auf die Reputation von Wissenschaftlern auswirkt. Medienberichte über wissen- schaftliche Forschung werden auch von anderen Forschern wahrgenommen und führen zu einer Steigerung der Zitatrate. Die in den Medien bekannte Wis- senschaftlerin und der oft interviewte Wissenschaftler gewinnen auch in der Wissenschaft an Ansehen – und umgekehrt. Sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler also ihre eigene PR-Abteilung? Festzustellen ist, dass sie ihre Forschung immer häufiger öffentlich rechtfertigen müssen. Dies gilt besonders für neue Forschungsfelder, die als riskant oder als nicht etabliert wahrgenom- men werden.In unserem Forschungsprojekt haben wir uns gefragt, welche Strategien besonders Wissenschaftler aus umstrittenen Fachgebieten entwickeln, um die Öffentlichkeit zu erreichen. Dabei konnten wir beobachten, dass Wissenschaftler in neuen Forschungsfeldern besonders häufig spezifische Formate wählen, um die Öffentlichkeit und andere Zielgruppen zu erreichen. In unserem Beispielfall nutzten sie insbesondere den wissenschaftlichen Überblicksartikel, auch Re- view genannt, um ihre Forschung zu kommunizieren. Warum ausgerechnet dieses Format? Es geht neben der Darstellung der Forschungsergebnisse auch um Möglichkeiten, die eigene Arbeit zu begründen und ihre Relevanz in einem weiteren Sinn darzustellen. Sprachliche, qualitative und quantitative Analysen des wissenschaftlichen Reviewartikels zeigen, dass dieses Format besonders gut geeignet ist, um den genannten Anforderungen gerecht zu werden. Als Medium ist er deshalb – neben vielen anderen Funktionen − selbst so etwas wie die PR-Abteilung seines Forschungsfelds.37