Page 41 - SPP Abschlussbroschüre
P. 41

se wurden inhaltliche und formale Gestaltungsprinzipien formu- liert, die die Vermittlung wissenschaftsbezogener Informationen optimieren können.In der zweiten Förderphase wurde am Beispiel der Nanotech- nologie der gesamte Kommunikationsprozess näher betrachtet: vom Diskurs unter Wissenschaftlern über andere relevante Kom- munikatoren und Journalisten bis hin zur Wirkung unterschied- licher medialer Darstellungen auf die Rezipienten. Ausgehend von einem Erwartungs-Wert-Modell wurde auf der Grundlage der Theorie des geplanten Handelns in zeitlich synchronisierten Befragungsstudien, Inhaltsanalysen sowie einer weiteren feldex- perimentellen Rezeptionsstudie untersucht, wie die verschiede- nen Akteure die wissenschaftliche Evidenz wahrnehmen, wie sie diese bewerten, welche Reaktionen sie von ihren Interaktions- partnern erwarten und wie sie diese Aspekte bei ihren Hand- lungsentscheidungen gewichten.Wie kommunizieren Journalisten und ihre Quellen wissenschaftliche Evidenz?Mit ihren Beiträgen prägen Wissenschaftsjournalisten das öffentliche Anse- hen von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung. Nach Ansicht mancher Forscher neigen sie allerdings dazu, je nach eigener Interesselage, die wissen- schaftliche Evidenz als zu gesichert oder als übertrieben ungesichert darzu- stellen. Zugleich sind Wissenschaftsjournalisten abhängig von ihren Quellen – den Wissenschaftlern oder Experten, deren Wissen oder Einschätzungen sie vermitteln. Ob Journalisten und ihre Quellen überhaupt über die (Un-)Gesi- chertheit wissenschaftlicher Ergebnisse kommunizieren und worin sich ihre jeweilige Darstellung begründet, wurde bisher kaum untersucht. Deshalb ging dieses Kooperationsprojekt der Universitäten Jena und Koblenz-Landau am Beispiel biowissenschaftlicher Zukunftstechnologien der Frage nach, welche Vorstellungen Wissenschaftsjournalisten sowie ihre potentiellen Quellen aus Wissenschaft, Industrie, Behörden, Umwelt- und Verbraucherschutz von wis- senschaftlicher Evidenz haben und wie sie damit in ihrer Kommunikation und Berichterstattung umgehen.Zu diesem Zweck wurden die genannten Expertengruppen und Wissen- schaftsjournalisten befragt, die sich mit Biotechnologien beschäftigen. Außer- dem wurde eine Medieninhaltsanalyse durchgeführt.Die Ergebnisse zeigen, dass Experten als journalistische Quellen ein sehr unterschiedliches Interesse daran haben, wissenschaftliche Ungesichertheit öffentlich zu thematisieren. Zum Beispiel weisen Wissenschaftler aus der aka- demischen Forschung vor allem dann auf Ungesichertheiten hin, wenn sie er- warten, dass sie dadurch Forschungsgelder für neue Projekte akquirieren kön- nen. Wissenschaftler aus Unternehmen sind dagegen von den Interessen ihrer Organisation abhängig: Wenn sie annehmen, dass sie ihrem Unternehmen mit Hinweisen auf wissenschaftliche Ungesichertheit schaden, sind sie weniger bereit, solche Informationen zu geben. Experten aus Umwelt-, Patienten- und Verbraucherschutz weisen umso bereitwilliger auf wissenschaftliche Ungesi- chertheiten hin, je stärker sie erwarten, dadurch die kritische Auseinanderset- zung der Öffentlichkeit mit der Anwendung von Biotechnologien zu fördern.Wissenschaftsjournalisten sehen sich nicht nur als passive Übersetzer ihrer Quellen, sondern haben eigene, häufig an der antizipierten Interessenlage ihrer ZielgruppeorientierteVorstellungendavon,wiewissenschaftlicheEvidenzme- dial dargestellt werden sollte. Die von uns befragten Journalisten unterscheiden sich allerdings darin, wie sie die Erwartungshaltung ihrer Leser und Zuschauer einschätzen: Einige präsentieren Forschungsergebnisse eher als gesichert, weil sie denken, ihr Publikum könne nicht angemessen mit der Komplexität wissen- schaftlicher Sprache und wissenschaftlicher Konzepte umgehen. Andere Jour- nalisten wollen eine kritische Sichtweise fördern – sie betonen häufig die Un- gesichertheit wissenschaftlicher Ergebnisse. Erläuterungen wissenschaftlicher Ungesichertheit fallen allerdings häufig redaktionellen Kürzungen zum Opfer.Die Analyse der Medieninhalte zeigt, dass wissenschaftliche Evidenz in den Medien insgesamt eher als gesichert dargestellt wird, während eine kritische journalistische Haltung eher seltener formuliert wird. Im Vordergrund der Be- richterstattung stehen vor allem konkrete Anwendungsmöglichkeiten und ihr möglicher Nutzen für die Bürger. Dabei gehen verschiedene Medienformate durchaus unterschiedlich mit Aspekten wissenschaftlicher Evidenz um: Wäh- rend Zeitungen wissenschaftliche Ungesichertheit eher im Zusammenhang mit politischen Diskussionen ansprechen, z. B. im Zusammenhang mit der For- derung der Bundesregierung nach einem europäischen Produktregister, stellen reine Wissenschaftsformate, wie TV- oder Print-Wissenschaftsmagazine, den Forschungskontext und die bislang noch ungelösten Fragen stärker in den Mittelpunkt. TV-Wissenschaftsmagazine berichten hier deutlich häufiger über ungesicherte Evidenz als Print-Wissenschaftsmagazine.Insgesamt zeigen die Studien, dass Experten in Abhängigkeit von ihrer In- teressenlage wissenschaftliche Ungesichertheit öffentlich thematisieren oder eben nicht, und dass Journalisten Hinweise auf wissenschaftliche Ungesichert- heit in Abhängigkeit von ihrem Publikumsbild und ihrer Zielgruppe aufgreifen. Dies führt oft dazu, dass wissenschaftliche Erkenntnisse ohne evidenzbezogene Angaben oder aber mehrheitlich als gesichert dargestellt werden.Kommunikatoren wissenschaftlicher Ergebnissekommunikative Zielorientierung:abhängig von der Bezugsgruppe(z.B. monetäre Zielorientierung vs. Fürsorgepflicht)Evidenzdarstellung abhängig von BezugsgruppenJournalistenkommunikative Zielorientierung:Publizistischer Erfolg = Aufmerksamkeit und Anerkennung innerhalb der Bezugsgruppe und beim Publikum; Gesellschaftliche RelevanzEvidenzdarstellung themenabhängigAbbildung: Rahmenmodell öffentlicher Kommunikationwissenschaftliche LaienEinstellungsbildung Annahme: beeinflussbarEvidenzverständnis Annahme: beeinflussbarErwartungen an Wissenschaftskommunikatoren: unklarIn einer dritten Projektphase wurden der thematische Fokus auf wissenschaftliche Evidenz im Bereich biowissenschaftlicher Zu- kunftstechnologien ausgeweitet und die Analysen fortgeführt, vertieft und die Auswertungen noch stärker miteinander ver- zahnt (siehe Abb. 1). Die Ergebnisse über das Kommunikations- verhalten der nicht-journalistischen Kommunikatoren und der Journalisten wurden auf der Grundlage repräsentativer Stichpro- ben repliziert und die zugrundliegenden Modelle um weitere relevante Erklärungsvariablen ergänzt. In qualitativen Befragun- gen wurden die Nutzungsmotive und die Erwartungen der Re- zipienten von Wissenschaftsberichterstattung erfasst und deren Rolle für die Bewertung unterschiedlicher Evidenzdarstellungen analysiert.In der Gesamtschau wurde der gesamte Prozess öffentlicher Kommunikation über wissenschaftliche Evidenz in biowissen- schaftlichen Zukunftstechnologien von Wissenschaftlern und nicht-journalistischen Kommunikatoren über Journalisten und Medienprodukte bis hin zu wissenschaftlichen Laien analysiert und die Ergebnisse in ein Gesamtmodell integriert.41


































































































   39   40   41   42   43