Page 7 - SPP Abschlussbroschüre
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Unterschiede auf – Formate mit einem inhaltlichen Schwerpunkt auf Wissenschaft geben häufiger Hinweise auf methodische As- pekte von Studien – doch überwiegen die Gemeinsamkeiten. Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse legen also nahe, dass Jour- nalismus unsichere Evidenzen ohne Bedacht in sicheres Wis- sen transformiert. Die Leitfadeninterviews zeigen jedoch deut- lich, dass sich Journalisten der Unsicherheit wissenschaftlichen Wissens bewusst sind und Strategien entwickelt haben, damit umzugehen. So halten sie es weder für möglich noch für erstre- benswert, die Unsicherheit wissenschaftlichen Wissens abzubil- den. Hier verweisen sie auf strukturelle Zwänge wie die fehlende Zeit zur Recherche oder Formatvorgaben, die eine ausführliche Berichterstattung nicht zulassen.In den insgesamt analysierten 1.971 Beiträgen spielen Unsicherheiten nur eine nebengeordnete Rolle. Die Leitfadeninterviews zeigen jedoch deutlich,dass sich Journalistender Unsicherheit wissenschaftlichen Wissens bewusst sind und Strategien entwickelt haben,damit umzugehen.Außerdem glauben Journalisten, dass dem Publikum insbeson- dere beim Thema Gesundheit/Medizin gesicherte Informati- onen bereitgestellt werden müssten. Das bedeutet aber nicht, dass unsichere Erkenntnisse schlicht in sicheres Wissen transfor- miert würden. Journalisten halten es vielmehr für ihre Aufgabe, den Evidenzgrad von Studien eigenständig zu evaluieren und anhand dessen zu entscheiden, ob eine wissenschaftliche Er- kenntnis berichtenswert ist. Hier haben Journalisten Strategien entwickelt, um dies trotz fehlender Fachkenntnis und geringer Recherchezeit leisten zu können. So pflegen sie ein Experten- netzwerk und orientieren sich bei ihrer Bewertung von Studien an wissenschaftlichen Qualitätskriterien.Stimmt das, was Wissenschafts- journalisten berichten?Glaubt man den Schlagzeilen, dann lauern überall im Alltag Gefahren für unsere Gesundheit:„Lärm macht krank“,„Schichtarbeit macht krank“, ja sogar „Langeweile macht krank“ und auch„Kaffee macht krank“. Alle Beiträge der zi- tierten Schlagzeilen berichten über Ergebnisse wissenschaftlicher Studien und kommen jeweils zu einer Erkenntnis, die unmissverständlich in der Überschrift auf den Punkt gebracht wird.Wer aber schon einmal eine wissenschaftliche Studie in der Hand hatte, weiß, dass die Formulierungen dort in der Regel weit weniger eindeutig sind. Keine Studie kommt ohne den Hinweis aus, dass die Ergebnisse unter be- stimmten Bedingungen zustande gekommen sind und dass weitere Forschung zu diesem Thema notwendig ist. „Kaffee macht krank“ ist beispielsweise eine typisch journalistische Schlagzeile, die so niemals in einem wissenschaftlichen Text stehen würde.Bedeutet dies also, dass Journalisten uns falsch informieren und unsiche- re wissenschaftliche Erkenntnisse einfach in Tatsachenbehauptungen ver- wandeln? Die Informationsvermittlung im Journalismus folgt ihren eigenen Gesetzen, die nicht mit den Merkmalen wissenschaftlicher Kommunikation vergleichbar sind. Journalismus hat in der Gesellschaft die Aufgabe, wichtige, aktuelle und auf Fakten beruhende Themen auszuwählen, zu recherchieren und in den Medien zu präsentieren. Dass Journalisten dabei eigenständig mit Informationen umgehen, bedeutet jedoch noch lange nicht, dass sie Falsches berichten.Ein Forschungsprojekt im Schwerpunktprogramm hat sich mit der„Evidenz- bearbeitung in der Wissenschaftsberichterstattung aktueller Massenmedien“ beschäftigt und gefragt, wie Journalisten mit der Unsicherheit wissenschaft- licher Erkenntnisse umgehen. Eine Analyse der wissenschaftsjournalistischen Beiträge legt nahe, dass Journalismus Unsicherheit in Sicherheit verwandelt: In den Beiträgen werden wissenschaftliche Erkenntnisse meist als gesicherte In- formationen präsentiert. Wenn überhaupt auf Unsicherheiten verwiesen wird, dann geschieht dies eher implizit durch die Verwendung des Konjunktivs oder den Einsatz der Wörter„wahrscheinlich“ und„vielleicht“.Fragt man allerdings die für die Berichterstattung zuständigen Wissen- schaftsjournalisten nach ihrem Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, wird schnell deutlich, dass sie für diese Unsicherheiten sensibilisiert sind und sich intensiv damit beschäftigen. Sie halten es für ihre Pflicht, den Grad dieser Unsicherheit selbst zu verstehen, sehen es jedoch nicht als ihre Aufgabe, diese Unsicherheiten im Beitrag zu transportieren. Die Entscheidung, über eine Stu- die zu berichten, ist also schon eine Entscheidung über den wahrgenommenen Wert der Studie – und der wiederum hängt vom Grad der wahrgenommenen Evidenz ab. In ihren Beiträgen zu den unmissverständlichen Schlagzeilen for- mulieren Journalisten meist vorsichtiger. In Überschriften allerdings, das räu- men sie ein,„muss man auch mal Fünfe gerade sein lassen“. Schließlich ist die Schlagzeile das Eintrittstor zur Lektüre.7


































































































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